Mit der Beobachtung des völkisch-nationalistischen „Flügels“ der AfD rückte auch eine Beobachtung der gesamten AfD als Partei sehr nah. Nach Forderungen der Parteispitze will sich der zuvor vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Flügel nun auflösen. Ein Befreiungsschlag ist dies jedoch nicht, denn in seinem Gutachten teilte das Amt bereits mit, dass die Gesamtpartei als Beobachtungsobjekt in Betracht kommt. Viele Politiker fordern angesichts antidemokratischer Züge bereits seit Monaten ein Parteiverbot der AfD. Ob dieses Bestreben sinnvoll und realistisch ist, soll hier im Fokus stehen.
Stufen und Voraussetzungen für ein Parteiverbot der AfD
Prüfungsmaßstab
Die Aufgabe des Verfassungsschutzes besteht insbesondere darin, über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, Informationen zu sammeln. Dazu gehören unter anderen die Achtung der Menschenrechte, die Gewaltenteilung, unser Wahlrecht und das Handeln der Verwaltungen entsprechend unserer Gesetze. Organisationen oder Vereinigungen, welche sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten, werden vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft und überwacht. Aussagen von Einzelpersonen können hierbei nur angerechnet werden, wenn eine entsprechende Organisation die Aussagen billigt oder beeinflussen kann. [1; 2]
Einstufung als Prüffall
Eine Einstufung als Prüffall wird ab dem Zeitpunkt vorgenommen, sofern erste tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Haltungen einer Organisation vorliegen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz betrachtet dann im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags über einen unbestimmten Zeitraum fortlaufend öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten. Hierbei wird nun untersucht, ob anhand dieser Aktivitäten hinreichend gewichtige Gründe für die Einrichtung eines Beobachtungsobjekts festzustellen sind. Diese liegen vor, wenn sich Anhaltspunkte für Bestreben gegen die freiheitlich demokratische Grundordnungen des Personenzusammenschlusses finden. [3]
Einstufung als Verdachtsfall
Sollte nun die zuvor beschriebene Phase als Prüffall ergeben, dass sich eben genannte hinreichend gewichtige Gründe finden, wird eine Organisation oder Teilorganisation zum Verdachtsfall erhoben. Diese Einstufung hat eine systematische Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Folge. Unter speziellen Voraussetzungen können nun nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung eingesetzt werden. Dazu gehört der Einsatz von V-Leuten, Observationen und Telefonüberwachung. Weiterhin dürfen personenbezogene Daten erhoben und in Dateien und Akten gespeichert werden. [3; 4] Die Einstufung als Verdachtsfall kann entweder eine Bestätigung zur Folge haben, sodass eine dauerhafte Beobachtung eingerichtet wird, oder man findet keine gesicherten Beweise für verfassungsfeindliche Bestrebungen. In letzterem Fall werden alle vorher angelegten Daten gelöscht und die Beobachtung wird beendet.
Parteiverbot
Im Gegensatz zu den vorherigen Stufen ist das Durchsetzen eines Parteiverbots sehr schwer und scheiterte bereits in der Vergangenheit an der rechtsradikalen NPD. Das Bundesinnenministerium schreibt zu Parteiverbotsverfahren in der Vergangenheit:
„In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Fällen ein Parteiverbot ausgesprochen: gegenüber der nationalsozialistisch orientierten Sozialistischen Reichspartei (SRP) im Jahr 1952 und gegenüber der stalinistischen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) im Jahr 1956.“
Ein Hindernis für das Verbot von Parteien, die nachgewiesen verfassungswidrige Ziele vertreten, ist der nachzuweisende Wille zur aktiv-kämpferischen und aggressiven Umsetzung dieser Ziele. Das Verneinen von obersten Verfassungswerten reicht also nicht für ein Parteiverbot aus. Hierfür muss vielmehr eine konkrete Planung zum Aussetzen der freiheitlich demokratischen Grundordnung nachgewiesen werden. Damit dieser Nachweis gelingt, muss es außerdem gewichtige Anhaltspunkte dafür geben, dass die Partei damit Erfolg haben könnte. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann das Bundesverfassungsgericht auf einen Antrag des Bundestags, Bundesrats oder der Bundesregierung hin ein Parteiverbot aussprechen. [5]
Anhaltspunkte für ein Parteiverbot der AfD
Wo die AfD jetzt steht
Bereits Anfang 2019 hat der Verfassungsschutz die Teilorganisationen „Junge Alternative (JA)“ und den „Flügel“ zum Verdachtsfall erhoben. Mit dieser Einstufung wurden die beiden Gruppierungen der AfD zum Beobachtungsfall. In Thüringen wurde sogar der gesamte Landesverband der AfD von einem Prüf- zum Verdachtsfall erhoben. Ab diesem Zeitpunkt griff die Berechtigung für den bereits oben erwähnten Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. [6]
In einer Pressemitteilung vom 12. März 2020 kam nun die Bestätigung nach einem Jahr Beobachtung: Der Verfassungsschutz stuft die AfD-Teilorganisation „Der Flügel“ als erwiesen rechtsextreme Bestrebung ein. Einige Belege für die Entscheidung stellen unter anderem die rechtsextremen Führungspersönlichkeiten Björn Höcke und Andreas Kalbitz, fortlaufende Verstöße von Funktionären gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung sowie die Vernetzung des „Flügels“ im rechtsextremistischen bzw. neurechten Spektrum dar. [7] Der Flügel wird nun zum dauerhaften Beobachtungsobjekt, sodass nun die volle Bandbreite an nachrichtendienstlichen Mitteln für den Einsatz erlaubt ist.
Rückt ein Parteiverbot nah?
Um diese Frage schnell und kurz zu beantworten: nein. Zwar bringt die AfD viele Anhaltspunkte mit, um eine Überlegung für ein Parteiverbot zu starten, allerdings würde selbst die Einstufung der gesamten AfD als rechtsextremistische Bestrebung nicht ausreichen. Da der Nachweis einer aktiv-kämpferischen und aggressiven Haltung zur Umsetzung dieser Bestrebung fehlt, ist eine maßgebliche Voraussetzung für ein Parteiverbot nicht gegeben. Sofern die AfD nicht gezielt Terroranschläge plant, dazu anstiftet oder einen rechten Putsch ausarbeitet, ist ein rechtliches Ersuchen beim Bundesverfassungsgericht praktisch aussichtslos.
Ist ein Parteiverbot der AfD sinnvoll?
Was dafür spricht
Unabhängig davon, ob ein Parteiverbot der AfD juristisch wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist, lohnt die Überlegung, welche Auswirkungen es hätte. Hierbei gibt es auch unter Politikwissenschaftlern geteilte Meinungen. Für ein Parteiverbot spricht ein simples Argument, das bei fast jeder Diskussion eine Rolle spielt: Geld. Momentan wird eine Partei mit bestätigten Rechtsextremisten sowie rechtsextremen Teilorganisationen durch Steuergelder finanziert. Es ist ein sehr harter Schlag, dass eine Demokratie Bestrebungen finanziert, die eben diese abschaffen wollen.
Weiterhin würden unsere Parlamente durch das Verschwinden der AfD wahrscheinlich wieder höhere Handlungsfähigkeit erlangen. Durch die derzeitig erheblichen Anteile der AfD in manchen Parlamenten werden Regierungsbündnisse gebildet, welche eigentlich sonst aus programmatischen Gründen nicht zusammenkämen. Da allerdings niemand mit der AfD kooperieren möchte, werden sonst eher gegensätzliche Parteien zur Zusammenarbeit gezwungen. Hierfür ist eine weitaus stärkere Kompromissbereitschaft von Nöten, die tiefgreifende und konsequente Politik an vielen Stellen verhindert.
Außerdem käme die mediale Aufmerksamkeit rund um die AfD zum Erliegen. Es wird schon lange angeprangert, wie unklug es sei, rechten Bewegungen zu viel Platz im medialen Raum einzuräumen. Dadurch könnten andere rechtsextreme Bewegungen an Halt verlieren, welche sich auf die AfD als parlamentarische Kraft stützen. Es könnte allgemein ein besseres gesellschaftliches Klima entstehen.
Was dagegen spricht
Natürlich gibt es auch viele Gründe, die ein Parteiverbot der AfD eher abwegig wenn nicht sogar sinnlos machen. So wird beispielsweise nicht das grundlegende Problem gelöst, dass rechtsextreme Tendenzen immer noch weit verbreitet und parlamentarisch gewünscht sind. Es fehlt an Aufarbeitung und Bildung, sodass Menschen selbstständig nicht auf den Gedanken kommen, sich eine rechtsextreme Partei zu wünschen und zu wählen. Diesem Trend kommt man auch mit einem Verbot nicht zuvor.
Ein Verbot birgt darüber hinaus ein weiteres Risiko, was mit dem verbleibenden rechtsextremen Gedankengut in einigen Teilen der Bevölkerung zusammenhängt. Es könnte sich eine Art „neue“ AfD gründen. Aus den Fehlern bei der AfD könnten diverse Politiker und Funktionäre gelernt haben, sodass sich möglicherweise eine viel feinsinnigere rechte Partei gründet, welche geschickter mit dem Verfassungsschutz umgehen kann, sodass hier eine noch viel besser etablierte Partei folgen könnte. Ein Verbot der AfD ist vergleichbar damit, eine Mauer zu bauen: man schiebt das Problem auf, man löst es allerdings nicht. Wenn man die Geschichte betrachtet, wird man feststellen können, dass Mauern nie Probleme gelöst haben. Ebenso wenig haben das im Übrigen Parteiverbote.
Fazit
Es gibt viele gute Gründe, welche ein Parteiverbot der AfD rechtfertigen könnten. Parlamentarische Mittel für rechtsextreme Netzwerke würden fehlen, die mediale Aufmerksamkeit rund um Rassismus und Antisemitismus würde gesenkt und unsere Parlamente könnten handlungsfähiger werden. Allerdings ist es bereits allein aus juristischer Sicht nicht sinnvoll, ein solches Verbot anzustreben, da maßgebliche Kriterien nicht erfüllt sind. Ein Parteiverbotsverfahren hat somit keine Aussicht auf Erfolg.
Darüber hinaus wäre ein Verbot aufgrund des verbleibenden Gedankenguts nur eine zeitliche Aufschiebung eines bereits länger existierenden Problems. Aufgabe unserer Gesellschaft muss es daher jetzt vor allem sein, mit Bildung und Aufklärung, guter Politik und angemessenen Lebensstandards für alle gesellschaftlichen Schichten ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das keine rechtsextremen Tendenzen als nötig erachtet. Die Menschen müssen selbst zu der Entscheidung gelangen, dass sie keine AfD brauchen. Jeder AfD-Anhänger muss für sich selbst zu dieser Erkenntnis gelangen.
Quellenverzeichnis
[1] BfV – Föderale Aufgabenteilung – Föderale Aufgabenteilung. (verfassungsschutz.de)
[3] BfV – Publikationen – Verfassungsschutzbericht 2019, Fakten und Tendenzen (Kurzzusammenfassung)
[4] https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lN#nachrichtendienstliche-mittel
[5] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/verfassung/parteienrecht/parteiverbot/parteiverbot-node.html
[6] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/afd-verfassungsschutz-163.html
[7] https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/presse/pm-20200312-bfv-stuft-afd-teilorganisation-der-fluegel-als-gesichert-rechtsextremistische-bestrebung-ein