Schriftliche Quellen interpretieren

Schriftliche Quellen zu interpretieren ist relativ einfach. Im Folgenden findest du eine Anleitung, damit dir dies möglichst einfach und akkurat gelingt. Dabei wird erklärt, was eine schriftliche Quelle ist, welche Gattungen und jeweilige Eigenheiten es gibt und was es bei der Interpretation zu beachten gilt.

Schriftliche Quellen interpretieren

Was ist eine schriftliche Quelle?

Bei schriftlichen Quellen handelt es sich um historische Texte, die noch im Original oder als Abschrift vorliegen. Dabei sind solche Quellen zu bevorzugen, die möglichst zeitnah oder zeitgleich zu den Berichten entstanden sind. Nur, wenn solche nicht zur Verfügung stehen, werden spätere hinzugezogen.

Parteilichkeit schriftlicher Quellen beim Interpretieren

Quellen bilden weder eine historische Wahrheit noch objektive Beschreibungen ab. Verfasser können sich irren oder sogar vorsätzlich täuschen. Hinzu kommen auch einige Fälschungen (insbesondere im Mittelalter, bspw. bei Urkunden). Verfasser können also beeinflusst sein durch:

  • ihre Nation,
  • eine bestimmte Religion,
  • Mitgliedschaft eines Standes oder Klasse,
  • Mitgliedschaft in einer Partei und
  • durch ein bestimmtes Geschlecht.

Eine Darstellung bleibt daher stets ein Standpunkt. Daher ist eine Quellenkritik unverzichtbar. Im schulischen Kontext ist eine äußere Quellenkritik in der Regel bereits vorgenommen worden. Fälschung und grobe Irrtümer sind daher unwahrscheinlich. Die Kritik von Ideologien und Standpunkten bleibt jedoch erforderlich.

Hinweis: Informiere dich über den Autor. Als Ausgangspunkt können die vorherigen Punkte genutzt werden. Welcher Standpunkt könnte aus welchen Gründen eingenommen worden sein? Was gibt es bei der weiteren Interpretation zu beachten?

Schriftliche Quellen gattungsgerecht interpretieren

Der Begriff „Quelle“ ist sehr abstrakt gewählt. Es gibt viele, sehr unterschiedliche und jeweils spezielle Gattungen. Untereinander unterscheiden sich die Absichten bei der Erstellung sowie die Zuverlässigkeit von Aussagen. Im schulischen Kontext ist meist angegeben, um welche Gattung es sich handelt.
In der folgenden Tabelle sind die Gattungen nach Eigenart, Merkmal und Zeitbezug aufgeschlüsselt. Nutze sie, um Informationen zur Parteilichkeit und ihrem Aussagewert abzuleiten.

GattungEigenartMerkmalZeitbezug
UrkundenZeigen die Formgebundenheit von Schriftstücken. Die Gültigkeit dieser Schriftstücke hängt von ihrer korrekten Form ab.Bei dieser Quellengattung steht die Frage nach der Form im Vordergrund.Entstehung der Quelle und die von ihr berichteten Ereignisse sind zeitgleich.
AktenZeigen einen Vorgang, einen Verlaufsprozess, an dessen Ende meist eine Entscheidung steht; typisch für amtliche Institutionen.Frage nach dem Verlauf, einem Entscheidungsprozess, der Differenz von Antrag und Entscheidung.Entstehung der Quelle und die von ihr berichteten Ereignisse sind zeitgleich bzw. zeitnah.
BriefeErmöglichen Einblicke in die Subjektivität anderer Menschen. Sie formulieren Gefühle, Stimmungen und definieren Beziehungen zu anderen Menschen.Frage nach der Individualität der Briefschreiberin bzw. des Briefschreibers.Entstehung der Quelle und die von ihr berichteten Ereignisse sind zeitgleich.
ZeitungenZeigen politisch-weltanschauliche Vorstellungen und Mentalitäten sozialer Schichten und politischer Gruppen. Zeitungen ermöglichen ideologiekritische Analysen.Frage nach der Denkweise der sozialen Gruppe, die hinter dieser Quelle steht, und deren Stellung in der Gesellschaft.Entstehung der Quelle und die von ihr berichteten Ereignisse sind zeitgleich.
RedenSind auf rhetorische Wirksamkeit bei einem Publikum angelegt.Frage nach den auf Wirksamkeit zielenden sprachlichen und sprecherischen Mitteln.Entstehung der Quelle und die von ihr berichteten Ereignisse sind zeitgleich.
Autobio-graphienZeigen die Konstruktion von Lebensgeschichten und die Präsentation der Identität der Schreiber.Frage nach der Identitätspräsentation, dem Selbstkonzept des Autobiographen.Entstehung der Quelle und die von ihr berichteten Ereignisse sind zeitfern.
TagebücherSind für den Schreiber selbst geschrieben. Sie halten seine Erlebnisse, Eindrücke, Gefühle und Überlegungen fest.Tagebücher halten subjektives Erleben und persönliche Geheimnisse fest. Vom Schreiber selbst veröffentlichte Tagebücher sind stets überarbeitet.Das formale Ordnungsprinzip ist die Chronologie. Im Idealfall werden die Einträge – darauf verweist der Begriff „Tage“-Buch – täglich gemacht. Die Einträge sind somit zeitgleich.
Annalen, Chroniken, HistorienZeigen Sinndeutungen historischer Ereignisse in Bezug auf spätere und beinhalten Botschaften, die in einer Nachwelt überliefert werden sollen; besitzen narrative Struktur. Historiographie der Vergangenheit, die zur Quelle geworden ist.Frage nach der Zeitdeutung, die der Schreiber vornimmt, und nach Sinnbildungsmustern, Erzählplänen.Entstehung der Quelle und die von ihr berichteten Ereignisse sind zeitfern; Historiker benutzen sie in Ermangelung zeitgleicher Quellen.
Pandel, Schriftliche Quellen interpretieren, S. 7-8.

Schriftliche Quellen interpretieren: Der Prozess

Die Interpretation umfasst das Lesen, Deuten und Verstehen einer Quelle. In diesem Verfahren sollen Schwierigkeiten, beispielsweise durch sprachliche Gestaltung oder Persönlichkeit des Autors, ausgeräumt werden. Zudem müssen Absichten und Motive erkannt werden, denn der Autor kann sowohl sich selbst als auch Leser täuschen. Jede Quelle hat spezifische Adressaten: Bei einer Zeitung kann dies die jeweilige Leserschaft sein. Urkunden hingegen richten sich an diejenigen, die sich beispielsweise über rechtliche Fragen vergewissern wollen. Als Leitfaden können die folgenden vier Ebenen des Verstehens gelten.

schriftliche Quellen interpretieren

1. Den Autor verstehen

Zuerst steht die Frage im Vordergrund, was der Schreiber/die Schreiberin erreichen wollte. Hilfreich kann dabei die Betrachtung der folgenden Fragen sein:

  • Welche soziale Rolle hat die Person?
  • Werden spezielle Motive genannt?
  • Welche Einstellungen und Werthaltungen vertritt die Person?
  • Gibt es verborgene Absichten der Person, die nicht explizit genannt werden?
  • Wie sind bestimmte Aussagen zu verstehen bzw. gemeint?

Hinweis: Betrachte diese Fragen niemals einzeln. Arbeite sie nicht im Sinne einer Checkliste ab. Die Suche nach Verbindungen zwischen den einzelnen Aspekten ist wichtig, falls du den Autor in der Gesamtheit zu verstehen willst.


2. Den Text verstehen

Anschließend steht die Bedeutung von Sprache im Fokus. Was bedeutet das Geschriebene? Unbekannte Begriffe müssen dabei geklärt werden. Bestimmte Begriffe und Redewendungen können aber in der Vergangenheit eine andere Bedeutung gehabt haben. Wichtig ist außerdem die Analyse von Wendungen, Metaphern und Argumentationen.

Hilfreich: Verwenden andere Texte ähnliche Wendungen?

Hinweis: Auf dieser Ebene wird nicht analysiert, was der Autor gemeint hat (dies wird bereits auf der Ebene zuvor deutlich). Denn das, was der Text ausdrückt, kann sich von der Aussageintention des Autors unterscheiden.


3. Historische Wirklichkeit betrachten

Nachdem Text und Autor verstanden wurden, muss der Sinn von beschriebenen Handlungen und Ereignissen betrachtet werden. Welche Aussagen können mit Hilfe der Quelle über damalige Wirklichkeit getroffen werden? Folglich müssen Indizien innerhalb des Textes betrachtet und in den historischen Kontext eingeordnet werden. Diesen hat man entweder schon behandelt oder das Internet ist für eine schnelle Einordnung und Recherche dein bester Freund.

Sinnvoll ist auch die Frage, ob der Autor Handlungen vornimmt (wenn ja, welche?) oder nur als Zuschauer bzw. passive Person fungiert.


4. Wirkungsgeschichte verstehen

Abschließend betrachtet man in diesem Schritt Handlungen, die mit dem Text selbst ausgeführt wurden. Was hat die Erstellung an sich bewirkt? Nützlich ist die Betrachtung von Sprechakten:

  • Vermacht bzw. vererbt der Text etwas?
  • Hat man eine Empfehlung, Drohung, Aufforderung, Erklärung oder Bitte formuliert?
  • Stellt der Text ein Ultimatum?
  • Wie ist die Wirkung innerhalb seiner Zeit? Wie ist die Wirkung in späterer Zeit?

Texte können dementsprechend Kriege erklären, Frieden schließen, Bewegungen begründen oder nur einen kleinen, privaten Ausschnitt darstellen. Dies gilt es, herauszufinden.


Literaturverzeichnis

Pandel, Hans-Jürgen: Schriftliche Quellen interpretieren, in: Methodentraining für den Geschichtsunterricht, hrsg. von Hans-Jürgen Pandel, Renate Teepe und Friedrich Huneke, Frankfurt am Main 2021.

Pandel, Hans-Jürgen: Quelleninterpretation: Die schriftliche Quelle im Geschichtsunterricht, Frankfurt am Main 2012.

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