Was wir brauchen, ist ein gerechter Lohn! Dabei sind sich die meisten Menschen jedenfalls einig. Doch was heißt es überhaupt, einen gerechten Lohn zu erhalten? Wie verhält sich dieser zu verschiedenen Berufen und dem Anspruch der Tätigkeiten? Spätestens hier gehen die Meinungen weit auseinander. Ich habe daher einige Überlegungen zur Gerechtigkeit bei der Lohnfrage angestellt.
Die Gerechtigkeitsfrage
Eine der ersten Fragen, die sich bei der Diskussion um einen gerechten Lohn stellt, ist, welcher Begriff von Gerechtigkeit gilt. Ohne zu weit in die praktische Philosophie ausholen zu wollen, möchte ich dennoch anmerken: Ja, es gibt viele viele verschiedene Begriffe von Gerechtigkeit. Für unsere Diskussion möchte ich hier nur einige kurz anführen und deren praktische Konsequenz erläutern. Dabei geht es natürlich um Gerechtigkeitsansätze aus dem Spektrum der Verteilungsgerechtigkeit. An dieser Stelle klammere ich die Tauschgerechtigkeit aus, da sie in einem System der Lohnzahlung aus verschiedenen Gründen nicht berücksichtigt werden kann. Es gibt auch noch viele Dimensionen sozialer Gerechtigkeit, welche bei der Frage mit eingebunden werden können. Der Einfachheit halber würde ich aber auf diese hier verzichten.
Egalitär gerechter Lohn
Bei diesem Konzept kommt die egalitäre Gerechtigkeit zum Tragen. Dies bedeutet so viel wie „absolut gleich“. Wer bei der Lohnfrage einen egalitären Ansatz vertritt, fordert im Prinzip, dass jegliche Tätigkeiten auf die gleiche Art und Weise vergütet werden. Dabei spielt es keine Rolle, wie lange die Ausbildung gedauert hat, ob Putzkraft oder Aufsichtsrat eines großen Unternehmen. Alle erhalten für ihre Tätigkeiten die selbe Summe. Das ist gerechter Lohn.
Beispiel: Sowohl die Putzkraft als auch Aufsichtsposten eines großen Unternehmens bekommen 25€ pro Stunde. Das ist gerecht, weil beide einer Arbeit nachgehen.
Leistungsgerechter Lohn
Wendet man die Leistungsgerechtigkeit bei der Ermittlung vom Lohn an, so wird dieser danach bemessen, wie viel die erbrachte Leistung für die Gesellschaft wert (= nützlich) ist. Doch bereits bei dem Verfahren der Ermittlung, wie viel nun eine Leistung eigentlich „wert“ sei, wobei auch die Frage danach eine Rolle spielt, was als wertvoll angesehen wird, ist höchst umstritten.
In der Praxis führt die Diskussion meist dahin, dass die Arbeit von großen Unternehmerinnen und Unternehmern „wertvoller“ erachtet wird im Vergleich zu simplen Tätigkeiten, wie sie beispielsweise normale Angestellte verrichten. Als Messlatte gilt hier dann der Beitrag zur Wirtschaft. Dieser Leistungsunterschied legitimiert dann entsprechende Lohnunterschiede zwischen den Menschen, die nicht limitiert sind. Manche sprechen an dieser Stelle von einer gerechten Ungerechtigkeit.
Viele Menschen glauben, dass die Marktwirtschaft ein leistungsorientiertes System sei. Dies stimmt allerdings nicht – zumindest nicht einwandfrei. Einkommen aus dem freien Markt ergeben sich vor allem aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Somit können Einzelpersonen große Leistungen erbringen die der Gesellschaft eigentlich nützen würden, allerdings führen sie nicht zu hohen Verdiensten, sofern keine entsprechende Nachfrage besteht.
Beispiel: Der Callcenter-Angestellte bekommt 13€ pro Stunde, während der Standortleiter 35€ pro Stunde erhält. Das ist gerecht, da der Beitrag des einzelnen Angestellten zur Wirtschaft geringer ist als der des Standortleiters, welcher die Verantwortung für alle Angestellten trägt und somit Arbeitsplätze schafft sowie sichert. Letzterer leistet einen wertvolleren Beitrag.
Verdienstgerechter Lohn
Ist Verdienst nicht das Gleiche wie Leistung? In gewisser Hinsicht schon, in anderer jedoch nicht. Das Verdienstprinzip kann sich sowohl auf den „Output“ (also der Leistung) als auch auf den „Input“ (das individuelle Bemühen) stützen. Natürlich sind auch hier Mischformen denkbar. Dies ist insofern sinnvoll, da wir bereits zuvor gesehen haben, dass es schwierig ist, Leistung zu bestimmen. Zumal bis dahin ungeklärt bleibt, woraus genau diese Leistung resultiert. Sie könnte auch weniger der Verdienst eines Individuums und mehr Glück durch umweltbedingte Umstände, soziale Voraussetzungen etc. sein.
An dieser Stelle bleibt zu betonen, dass eine alleinige Betrachtung des Bemühens keinesfalls unsere soziale Praxis darstellt. Dies wäre ein revolutionärer Vorschlag. Honoriert würden nicht nur die besten Ergebnisse, sondern auch die Schwierigkeit der zu überwindenden Hürden. Das brächte auch einen Aspekt von sozialer Gerechtigkeit mit in die Betrachtung ein.
Eine konkrete Bemessung des Lohns nach der Verdienstorientierung kann daher nicht festgelegt werden, da sie vielschichtig und uneindeutig ist. Von vielen Möglichkeiten könnte man sich beispielsweise an einer Verteilung nach Anspruch der Tätigkeit orientieren. Hier wird dann nicht der Leistungsgedanke in den Vordergrund gestellt, sondern (auch) entsprechende Qualifikationen und Mehraufwände für bestimmte Berufe.
Beispiel: Eine Krankenschwester verdient 17,50€ pro Stunde, während eine Lehrkraft 35€ pro Stunde erhält. Das ist gerecht, da die Ausbildung der zur Lehrkraft doppelt so lang dauert wie die zur Krankenschwester.
Die Lohnfrage
Nachdem wir uns den Begriff der Gerechtigkeit, genauer gesagt viele verschiedene Konzeptionen der Verteilungsgerechtigkeit, angesehen haben, soll es nun um den Lohn gehen. Was muss ein Lohn eigentlich leisten, um das Prädikat gerecht zu verdienen? Vielleicht helfen ein paar grundsätzliche Überlegungen zur Erwerbsarbeit von Menschen.
Warum gehen wir Arbeit nach? Nun, neben der Tatsache, dass sich die meisten Menschen schon aus reinen Beschäftigungszwecken einer Tätigkeit im Alltag widmen wollen, spielt sicherlich auch das Einspielen von Geld in die Haushaltskasse eine übergeordnete Rolle. Unser Grundsicherungssystem ist schließlich nicht unbedingt das, mit dem man sich ein schönes und unbeschwertes Leben aufbauen kann. Insofern heißt es nun: auf zur Arbeit. Damit bringen wir eine ganz wesentliche Erwartung mit: das Einkommen soll unseren Lebensunterhalt sichern können.
Was gehört nun zu diesem Lebensunterhalt? Ganz vorn dabei sind natürlich grundlegende Bedürfnisse. Das Geld muss für Miete, Ernährung, Kleidung und Mobilität reichen, sonst geht wirklich nichts. Erst auf zweiter Ebene folgen einige Annehmlichkeiten. Die Auswahl ganz bestimmter Kleidung, Einfluss auf die Wohnsituation, kulturelle Teilhabe (und sei es nur das Netflix-Abo), Komfort bei der Mobilität, hierzulande meist in Form eines eigenen Autos. Die Liste weiterer Wünsche und Annehmlichkeiten können wir nun beinahe endlos weiterführen, die kennen aber fast alle aus ihrem eigenem Alltag. Deswegen sind sie auch höchst individuell.
Generell zeigen aber die meisten Menschen eine Tendenz, ihren Anspruch an den Lohn so zu formulieren, dass man sich im Alltag keine Sorge um Geld machen müsse. Die Wenigsten wollen wirklich reich sein, andauernd exotische Urlaube machen, die teuersten Autos fahren und Ähnliches. Vielen reicht eine unbesorgte Versorgung der Familie mit den einen oder anderen Ausschweifungen. Finanzielle Sicherheit steht im Vordergrund.
Gerechter Lohn – ein mögliches Konzept
Einige Grundannahmen
Bei dem von mir erarbeiteten Konzept handelt es sich um eine stark vereinfachte Version eines verdienstgerechten Lohns. Dabei stütze ich mich ausschließlich auf die Lebenslernzeit zur Qualifizierung für einen Beruf oder eine bestimmte Stelle. Was genau das heißt, wird im Konzept selbst genauer beschrieben. Ich klammere damit jedoch mehrere Faktoren aus, was der Komplexität von gerechtem Lohn ein Stück weit untergräbt. Dies ist jedoch erforderlich, um eine halbwegs übersichtliche Darstellung zu ermöglichen.
Zudem gehe ich davon aus, dass der verdienstgerechte Lohn am ehesten einer Mehrheit der intuitiven Gerechtigkeitswahrnehmung in der Bevölkerung entspricht. Um diese Position könnte zwar auch leistungsgerechter Lohn konkurrieren, jedoch wäre hier ein Widerspruch zu erwarten, der von breiten Schichten geringer Verdienenden stammt. Egalitärer Lohn wurde von mir als Möglichkeit ausgeklammert, da er genuin unterschiedlichen Ansprüchen nicht gerecht wird und äußerst unterkomplex für die moderne Arbeitswelt ist.
Das Konzept
Ich sprach zuvor an einer Bemessung anhand der Lebenslernzeit. Was genau ist das? Sie erfasst, wie viel Lernzeit (in Jahren) erforderlich ist, um einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Stelle zu erlangen. Dazu gehört der Bildungsweg (gerechnet ab dem 10. Schuljahr), die Dauer von Ausbildung oder Studium sowie passive Lernfaktoren. Bei letzteren handelt es sich beispielsweise um unternehmensspezifische Abläufe, welche erlernt und erfahren werden müssen, um leitende Positionen zu erlangen, die dann auch besser vergütet werden. Passive Lernfaktoren werden umgerechnet in die Zeit, welche man theoretisch bräuchte, um diese rein schulisch zu erlernen.
Beispiel: Für den Lehrerberuf braucht man ein Abitur (2 Jahre für Oberstufe) und ein abgeschlossenes Studium (5 Jahre) mit Referendariat (unterschiedlich je nach Bundesland, hier 1,5 Jahre). Möchte die Lehrkraft nun zum Direktor aufsteigen, muss natürlich viel Erfahrung in der entsprechenden Schule gesammelt werden (3 Jahre Lebenslernzeit, ~ 10-15 Jahre Berufserfahrung). Auf dem Weg zum Direktor werden also 11,5 Jahre Lebenslernzeit gesammelt.
Anhand der Lebenslernzeit kann eine Einordnung Gehalts mittels eines proportionalen Prinzips erfolgen. Mit 0 Jahren Lebenslernzeit, also in Berufen, in welchen keinerlei Ausbildung erforderlich ist, kann als gerechter Lohn eine Summe angesehen werden, von der man die Grundbedürfnisse der Existenz decken kann. Diskutiert werden hierbei Summen zwischen 1100-1400€, für das Modell gehe ich an dieser Stelle von 1300€ monatlich aus. Hält man nun beispielsweise die Bezahlung einer Lehrkraft (8,5 Jahre Lebenslernzeit) mit 5500€ monatlich für angemessen, lässt sich daraus ein entsprechendes Modell entwickeln:
Man sieht recht deutlich, dass sich für jedes Jahr Lebenslernzeit eine gerundete Steigerung von 495€ pro Monat ergibt. Natürlich handelt es sich hier nur um einen Beispielwert, der aber recht gut verdeutlicht, worauf ich eigentlich hinaus möchte. Man kann auch von der Steigerung pro Jahr ausgehen und anhand dieser ein Modell für die Bezahlung bestimmter Tätigkeiten entwickeln.
Vorteile und Nachteile
Vorteile des Konzepts zeigen sich vor allem in der hinreichenden Vereinfachung eines komplexen Sachverhalts, ohne jedoch zu „plump“ an die Frage nach gerechtem Lohn heranzugehen. Es zeichnet sich zudem durch eine simple Anwendung im Alltag aus, da ein gerechter Lohn durch den Rahmen bereits aus aktuellem Existenzminimum und einer als gerecht empfundenen Bezahlung eines bestimmten Berufs entwickelt werden kann. Zudem ist durch die proportional ansteigende Bezahlung gewährleistet, dass Mehraufwand sich lohnt, ohne dabei jedoch unrealistische Maßstäbe zu erreichen.
Entgegen schlägt jedoch eben diese Vereinfachung: vor allem das, was unter Lebenslernzeit fällt, ist schwer zu definieren und noch schwerer angemessen umzurechnen. Exakt diese Komponente ist die Schwachstelle des Modells, da der „Aufwand“ bei Qualifikation und Erlernung für bestimmte Berufe oder Stellen viel zu komplex ist. Zudem kann man (teils zurecht) das proportionale Bezahlungsmodell an bestimmten Stellen als unangemessen für den Aufwand kritisieren.