Sozialismus – Begriff für ein weites Spektrum

Der Begriff Sozialismus ist schwierig zu definieren. Streng genommen handelt sich um ein Spektrum politischer Ideologien, für welches in der Wissenschaft keine einheitlich anerkannte Definition existiert. Häufig wird der Begriff irrtümlich als Synonym für ein Wirtschaftssystem verwendet, da sich die Ideologie unter anderem an der Überwindung des Kapitalismus orientiert. Alternative Verwendung erfährt er in der Bezeichnung historischer oder aktueller Staatssysteme, die häufig mit der theoretischen Grundidee wenig gemein hatten oder haben.

Sozialismus

Zum Begriff des Sozialismus

Eine Beispieldefinition

Der Begriff Sozialismus umfasst sowohl einen Typ politischer Theorie, nach der über eine gesellschaftliche Kontrolle der Ökonomie und Eigentumsverhältnisse eine demokratische Gesellschaft von Freien und Gleichen erreicht werden könnte, wie auch eine politische Praxis zur Erreichung dieses Ziels.

Wörterbuch der philosophischen Begriffe

Die hier vorgebrachte Definition ist nur eine mögliche von vielen. Sie scheint mir vor allem deshalb geeignet, da sowohl der theoretische Charakter als auch die politische Ebene des Begriffs angeschnitten werden. Gleichsam zeigt sie wesentliche Grundmerkmale der meisten Sozialismen auf. Natürlich gibt es auch viele alternative zutreffende Definitionen. Die Begriffsunschärfe ergibt sich vor allem aus der weiten Streuung der Verwendung. Unterscheiden kann man diese in eine theoretisch-konzeptionelle Dimension sowie die Selbst- und Fremdbezeichnung von Parteien, Staaten oder anderen Organisationen. Erstere Verwendung bildet dabei eine politische Ideologie oder Utopie ab. Letztere finden vor allem im politischen Diskurs Anwendung.

Merkmale

Die folgenden Merkmale treffen auf manche Arten des Sozialismus eher, auf manche weniger zu. Gerade bei sehr autoritären Arten, wie dem Marxismus, rückt die Freiheitskomponente stärker in den Hintergrund. Es handelt sich hierbei um eine Auswahl der am ehesten grundlegenden und übergreifenden Eigenschaften der politischen Theorien.

  • Verwirklichung einer Solidargemeinschaft mit den Grundwerten Freiheit und Gleichheit
  • Überwindung privatkapitalistischer Wirtschaftsordnung (Planwirtschaft nicht zwingend als Gegenmodell!)
  • Ablehnung der Überhöhung individueller Freiheitsrechte und Verabsolutierung des Privateigentums
  • internationale Orientierung ohne Beschränkung auf nationale Interessen

Die hier dargestellten Merkmale müssen unbedingt von den Staaten, die unter „Realsozialismus“ gelistet werden, differenziert werden. Da es sich bei diesen fast ausschließlich um autoritäre Diktaturen handelte, die den Begriff für die Legitimation politischer Macht nutzten, muss dies unter einem anderen Aspekt betrachtet werden. Zutreffend sind die Merkmale hingegen für viele Formen des modernen, demokratischen Sozialismus (auch Sozialdemokratie genannt).

Arten

Wie bereits dargestellt gibt es große Differenzen beim Sozialismusbegriff. Da sich die Anwendung vom autoritären, über den demokratischen bis hin zum anarchistischen Spektrum erstreckt, soll hier eine kurze Übersicht über einige Arten des Sozialismus gegeben werden. Dabei handelt es sich nur um eine beispielhafte Auswahl.

  • Marxismus
  • Saint-Simonismus (vor allem Staatssozialismus)
  • Proudhonismus (sehr präsent vor Marx)
  • Syndikalismus
  • Sozialdemokratismus oder demokratischer Sozialismus
  • libertärer Sozialismus
  • Leninismus
  • Stalinismus

Die verschiedenen Arten von Sozialismus weichen in einigen Fällen nur in wenigen Details voneinander ab. Dies betrifft beispielsweise die politische Praxis oder das erklärte endgültige Ziel. Bestimmte Arten sind aber durch fundamentale Unterschiede gegenüber anderen geprägt. Dies betrifft nicht nur die politische Praxis, welche teils demokratisch, teils autoritär oder gar staatenlos organisiert ist, sondern auch die Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele. So lehnen es der Syndikalismus beispielsweise kategorisch ab, parlamentarische Mittel zur Erreichung seiner Ziele anzuwenden.

Sozialismus in der Geschichtswissenschaft

In der Geschichtswissenschaft wird der Begriff auf zwei unterschiedlichen Ebenen verwendet. Einerseits findet in einer begrifflichen Auseinandersetzung die konzeptionelle Diskussion von Sozialismus statt. Hierbei gibt es fließende Übergänge zur Politphilosophie und Politikwissenschaft. Dabei geht es vor allem um die Klärung übergreifender Merkmale, Abgrenzung zu anderen Ideologien sowie Definitionsfragen. Beachtung finden hierbei häufig Quelltexte von Marx, Engels, Lenin und Co.

Anderseits werden unter dem Begriff historische Staaten und Parteien klassifiziert und beschrieben, die sich vor allem selbst als sozialistisch bezeichneten. Verwendung findet hierbei oft der Begriff „Realsozialismus“. Dabei spielt die Erfüllung von Merkmalen, welche in der wissenschaftlichen Diskussion um Sozialismus hervorgehoben werden, keine Rolle. Die Selbstbezeichnung diente vor allem zur Legitimation der eigenen Herrschaft gegenüber der Bevölkerung. Beispiele sind die DDR (Marxismus-Leninismus), Sozialistische Volksrepublik Armenien (Titoismus, Stalinismus, Maoismus), Volksrepublik Bulgarien (Marxismus-Leninismus) oder die Republik Ägypten (arabischer Sozialismus).

Sozialismus in der Politik

Die Selbst- und Fremdbezeichnung spielt nicht nur in der Geschichtswissenschaft eine große Rolle. Auch in der modernen politischen Kommunikation wird der Begriff sehr unterschiedlich verwendet. Dabei muss immer genau hinterfragt werden, welches Ziel die Akteure verfolgen und welche Assoziationen hervorgerufen werden sollen. Ein Beispiel aus dem deutschen Raum kann dies verdeutlichen:

Die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) gibt sich selbst im Grundsatzprogramm die Orientierung am demokratischen Sozialismus. Andere Parteien, vor allem jene konservativer oder rechter Gesinnung, übernehmen diese Selbstbezeichnung in eine Fremdbezeichnung ihrerseits. In diesem Fall wird sie häufig zur Diskreditierung des Sozialismus – und damit der SPD – gebraucht. Konservative wie Rechte bemühen hierfür oft Vergleiche zu historischen autoritären Staaten wie der DDR oder der Sowjetunion. Zu dieser Problematik später mehr. Die Selbstbezeichnung kann sich jedoch von Fremdbezeichnungen unterscheiden. Die LINKE beispielsweise würde in großen Teilen nicht anerkennen, dass die SPD eine sozialistische Partei sei. Programmatik und Handeln der Partei werden als zu inkonsequent angesehen. Die Sozialismusbegriffe und einhergehende Assoziationen unterscheiden sich also zwischen verschiedenen Parteien.

Sozialismus und Kommunismus
Wahlplakat der SPD von 1946

Literaturverzeichnis

Regenbogen, Armin und Meyer, Uwe: Wörterbuch der politischen Begriffe, Hamburg 2013.

Schubert, Klaus und Klein, Martina: Das Politlexikon, Bonn 2020.

Von Beyme, Klaus: Sozialismus – Theorien des Sozialismus, Anarchismus und Kommunismus im Zeitalter der Ideologien 1789-1945, Wiesbaden 2013.

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