Das Gedankenexperiment

Das Gedankenexperiment erfreut sich im Unterricht meist großer Beliebtheit. Es knüpft an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler an, die ähnliche Konstrukte aus Fantasy und Science-Fiction kennen. Die Beschäftigung mit unwahrscheinlichen oder unmöglichen Szenarien kann motivierend und aufregend sein. Im Folgenden findest du eine Übersicht, wie man die Methode des Gedankenexperiments sinnvoll nutzen kann.

Gedankenexperiment

Was ist ein Gedankenexperiment?

Gedankenexperimente haben eine lange Geschichte und wurden bereits in der Antike durchgeführt. Es handelt sich dabei um Überlegungen, die zumeist kontrafaktisch oder sehr unwahrscheinlich sind. Sie tragen zur Beantwortung von Problemen im Ethik- oder Philosophieunterricht bei, kommen aber auch in anderen Wissenschaften vor. Sie stellen Selbstverständlichkeiten in Frage, können für Staunen und Empörung sorgen.

Komponenten und Aufbau

Versuchsanordnung: Ein Gedankenexperiment stützt sich auf Prämissen – einfach gesagt „Annahmen“. Eine Prämisse könnte lauten Nehmen wir an, dass es kein Geld gäbe. Prämissen bilden die Basis eines Gedankenexperiments, da sie ein Szenario entwerfen, eingrenzen und verständlich machen. Sie werden hierbei nicht auf ihre reale Gültigkeit untersucht, sondern schlicht als Versuchsanordnung akzeptiert.

Aufgaben: Die Prämissen wurden festgelegt, das Szenario steht. Ein Gedankenexperiment wird es aber erst, wenn es Anweisungen zum konstruierten Szenario gibt. Etwas muss mit/innerhalb der Vorstellung getan werden. Dies können Fragen oder Aufforderungen sein. Mit Bezug auf die vorige Prämisse könnten sie folgend lauten: Würden die Menschen Tauschhandel betreiben? Beschreibe eine mögliche Ersatzwährung in unserer Gesellschaft! Fragestellungen können in Bezug auf die selbe Versuchsanordnung höchst unterschiedlich sein.

Methode Gedankenexperiment

Überlegung: Nun ist der Zeitpunkt für die Durchführung des Gedankenexperiments. Die Aufgaben sollen nun im Rahmen oder mit Hilfe der Versuchsanordnung bearbeitet werden. In diesen Überlegungen kann es zu moralischen Entscheidungen, Wertabwägungen oder Abschätzung von Normen kommen. Hilfreich kann das Hinzuziehen Erkenntnissen aus den Wissenschaften, Erfahrungen oder lebensweltlichem Wissen sein. Wichtig ist, dass der Ausgang des Experiments nicht feststeht. Achte deshalb bei der Konstruktion darauf, dass ein echtes, resultatsoffenes Gedankenexperiment entsteht.

Kontext: Ein Gedankenexperiment sollte grundsätzlich in einen größeren Zusammenhang eingebettet werden. Es eignet sich gut für den Einstieg in neue Themen, um Probleme deutlich zu machen. Ebenso ergiebig ist ein Einsatz am Ende einer Unterrichtsreihe, um die Abstraktion und Anwendung von Gelerntem zu fördern.

Arten

Gedankenexperimente stellen häufig Fallbeispiele dar. Dabei konstruiert man eine unwahrscheinliche oder extreme Situation, die ein konkretes Problem verdeutlichen soll. Ein Fallbeispiel wäre das folgende Gedankenexperiment: Angenommen der Mann eines Ehepaars leidet an einer seltenen, tödlichen Krankheit. Der örtliche Arzt hätte ein Heilmittel, verkauft es aber nur für 100.000 €. Da das Ehepaar das Geld nicht aufbringen kann, stiehlt seine Frau das Heilmittel. (Aufgabe: Beurteile, ob eine Verurteilung der Frau gerecht wäre!).

Auch Utopien und Dystopien stellen Gedankenexperimente dar. Sie sind größer angelegt und beziehen sich auf Veränderungen in Staat und Gesellschaft als Ganzes. Eine bekannte sozialphilosophische Utopie ist beispielsweise das Konzept von Kommunismus. Grundlegende Prämissen sind hier die Abschaffung privaten Eigentums und die rechtliche wie ökonomische Gleichheit aller.

Utopie Gedankenexperiment

In der experimentellen Umkehrung setzt man bisher Übliches in das Entgegengesetzte um. Dies kann man auf Normen oder Sprichwörter anwenden, allerdings auch auf gesellschaftliche Konventionen. Das Durchdenken dieser in der Regel absurden Vorstellungen kann ein Gewinn hinsichtlich den Gedanken für Freiheit und Verantwortungsfähigkeit von Menschen bedeuten. Ein Beispiel für die experimentelle Umkehrung wäre die These Mehrere Menschenleben können ein anderes aufwiegen. (In unserem Staat ist das Aufwiegen von Menschenleben gegeneinander nicht gestattet.).

Ein Gedankenexperiment im Unterricht einbauen

Gedankenexperimente lassen sich vielfältig im Unterricht einsetzen. Dabei gibt es verschiedene Qualitäts- und Anforderungsstufen. Mit Bezug auf die Lerngruppe sollte die Auswahl gut überlegt erfolgen, eventuell auch differenziert, um Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern, aber auch nicht zu langweilen.

Das angeleitete Gedankenexperiment

Versuchsanordnung und Aufgaben des Gedankenexperiments werden gemeinsam gelesen und interpretiert. Auch eine kritische Betrachtung des Szenarios ist möglich. Die Überlegungen erfolgen dann gemeinsam, je nach Bedarf durch die Lehrkraft gestützt. Diese Verwendung eignet sich vor allem beim Erstkontakt mit der Methode, sodass die Schülerinnen und Schüler erfahren, wie ein Gedankenexperiment strukturiert ist, welche Funktionen es mitbringt etc.

Das selbstständige Gedankenexperiment

Die Lehrkraft stellt durch eine Vortrag oder Text die Versuchsanordnung und die Aufgaben des Experiments zur Verfügung. An dieser Stelle erfolgt noch eine Überprüfung, ob das Szenario von allen verstanden wurde – Rückfragen sind hier entscheidend. Die Schülerinnen und Schüler müssen dann in Einzel- oder Gruppenarbeit eigenständig die Aufgabe durchführen. Natürlich ist auch ein Unterrichtsgespräch möglich, was jedoch die Lehrkraft nur moderiert. Im Anschluss bringt man Ergebnisse vor und diskutiert diese gemeinsam. An dieser Stelle fördert man vor allem Kreativität, eigenständiges Denken und auch etwas Fantasie. Die spekulative Kompetenz wird erweitert.

Textarbeit mit Gedankenexperimenten

Auf der Basis von Versuchsanordnung und Aufgaben sollen die Schülerinnen und Schüler in dieser Anforderungsstufe kleine, diskursive Texte zum Gedankenexperiment erstellen. Es können ebenfalls Geschichten entstehen, die sich als Fortgang oder Ausformulierung des Experiments verstehen und daher besonders anschaulich sind. Wichtig bei dieser Anwendung ist die Formulierung der Aufgabenstellung. Diese muss möglichst konkret sein, damit das Szenario eingeengt wird. Der Schreibprozess kann durch die Vorgabe eines Anfangs erleichtert werden (dieser kann auch lediglich als Beispiel dienen). Tipp: Private und persönliche Themen sind zu meiden, da sich die Schülerinnen und Schüler unwohl fühlen können, sich diesbezüglich zu äußern.

Ein Gedankenexperiment erstellen

Besonders anspruchsvoll und im Sinne der Methodenkompetenz wäre der eigenständige Entwurf eines Gedankenexperiments. Wichtig ist hierbei die Vorgabe eines Problems bzw. einer Frage, die das Gedankenexperiment untersuchen soll. Danach müssen die Schülerinnen und Schüler selbstständig Versuchsanordnung und Aufgaben entwerfen sowie das Experiment durchführen. Eine notwendige Voraussetzung ist das Wissen über den Aufbau und die Struktur von Gedankenexperimenten, viel Erfahrung mit der Methode ist also sinnvoll. Gewinnbringend ist diese Anwendung vor allem aufgrund der Kreativität der Schülerinnen und Schüler, die meist die der Lehrkräfte übersteigt.

Mehrwert im Unterricht

Wie bereits erwähnt fördern Gedankenexperimente insbesondere die spekulative Kompetenz. Von ihnen geht zudem ein hohes Maß an heuristischer Kraft aus. Hypothetisches Denken wird erlernt, welches auch in vielen Alltagssituationen von Bedeutung ist. Gelernt wird zudem:

  • die Klärung von eigenen Vorstellungen
  • Erkennen und Beschreiben von Gefahren durch bspw. neue Technologien
  • Bekanntes unter neuen Gesichtspunkten betrachten und untersuchen
  • besseres Selbst- und Fremdverständnis
  • konträre Werte und Normen verstehen
  • alternative Lebensweisen kennenlernen
  • Wechsel von Perspektiven
  • Argumente entwickeln
  • Theorien verifizieren oder falsifizieren

Literatur

Engels, Helmut: Gedankenexperimente, in: Handbuch Philosophie und Ethik – Bank 1: Didaktik und Methodik, hrsg. von Julian Nida-Rümelin, Irina Spiegel und Markus Tiedemann, Paderborn 2017.

D. Cohnitz: Gedankenexperimente in der Philosophie. Paderborn 2006.

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