100% erneuerbare Energien – kann diese Energiewende gelingen?

Der Klimawandel fordert uns zu einer radikalen Energiewende heraus und legt die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien nahe. Das ist sinnvoll, denn aktuell machen energiebedingte Emissionen nach Angaben des Umweltbundesamts rund 85% der deutschen Gesamtemissionen aus. [1] Doch der Umschwung von fossilen Trägern ist schwer. Viele liebäugeln mit der Atomkraft als Übergangslösung. In diesem Artikel soll diskutiert werden, wie realistisch ein zeitnaher Umstieg auf eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist.

Hürden für eine Energiewende aus rein erneuerbaren Energien

Für einen konsequenten und sauberen Umschwung gibt es einige Hürden. Die Ursachen sind hierfür teils technischer, politischer aber auch gesellschaftlicher Natur.

Hoher Investitionsbedarf

Natürlich braucht es für den Ausbau von Anlagen, Speichertechnologie und Netz eine Finanzierung. Hierfür muss man viel Geld in die Hand nehmen und die Aufnahme von Schulden ist dabei unerlässlich. Manche Parteien sehen aber eben solche weitreichenden Investitionen kritisch. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft beziffert die notwendigen Investitionen für die Erreichung der Erneuerbaren-Ziele 2030 mit 320 Milliarden Euro. [2]

Jobverlust

Zweifellos werden durch die Energiewende Arbeitsplätze in konventionellen Bereichen der Branche entfallen. Es entsteht zwar neue Arbeit im Sektor der erneuerbaren Energien, jedoch ist für die Betroffenen die Angst vor dem Verlust und unmittelbare Betroffenheit oft schwerwiegender.

Leistungsschwankung und Speichertechnologie

Vorteil fossiler Energiegewinnung ist ein relativ zuverlässiger Zugriff auf die Stromerzeugung. Bei den Erneuerbaren kommt es bekanntlich zu teils großen Schwankungen. Diese müssen nicht nur durch eine Art „Puffer“ abgedeckt werden, sondern auch durch Speichertechnologien bei Nacht und Winter gestützt werden.

Steigender Energiebedarf

Wesentliche Herausforderung ist nicht nur, unsere jetzige Stromproduktion komplett umzustellen, sondern auch dem wachsenden Bedarf an Elektrizität, bspw. durch E-Mobilität, gerecht zu werden. Die europäische Energiesystemmodellierung beziffert die langfristige Stromnachfrage für Deutschland mit 1070 Terrawattstunden, das Fraunhofer Institut mit 900-1100 Terrawattstunden. [3; 4] Zum Vergleich: aktuell beträgt der Bruttostromverbrauch laut UBA 553 Terrawattstunden. [5]

Gesellschaftliche Widerstände

Zum Risiko des Jobverlusts kommt eine teils allgemeine Ablehnung erneuerbarer Energien. Diese wird durch manche politische Strömungen aktiv gefördert. Auch die Verbreitung von Fake-News spielt hierbei eine Rolle. So gibt es besonders auf dem Land eine teils sehr große Ablehnung des Baus von Windkraftanlagen.

Energiewende aus technischer Sicht

Aus rein technischer Sicht könnte eine globale Umstellung auf erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030 erfolgen. Realistisch schätzt man eine solche Transformation jedoch eher auf das Jahr 2050. Hierbei sind vor allem politische Widerstände ausschlaggebend. [6] Folglich ist auch eine zeitnahe Umsetzung in Deutschland möglich, wobei Wechselwirkungen und Energieaustausch innerhalb Europas begünstigende Faktoren wären.

Entscheidend ist hierfür vor allem ein schneller Anstieg des Ausbaus von Wind- und Solarkraft. Windanlagen müssen stärker und flächendeckender an Land ausgebaut werden, um der steigenden Elektrifizierung und der Ablösung fossiler Energieproduktion gerecht zu werden. Das DIW präsentiert hierfür in einer Studie zwei Varianten eines denkbaren Ausbaus. Im ersten Fall, welcher als desintegrierte Variante bezeichnet wird, erfolgt der Ausbau allein anhand der höchstmöglichen Erzeugungsmöglichkeiten. Die Distanz zu Verbraucherinnen und Verbrauchern durch Netzausbau wird dabei nicht berücksichtigt.

Energiewende erneuerbare Energien
Berechnungen des DIW zu Szenarien einer Vollversorgung mit Erneuerbaren.

Im zweiten Fall, welcher als integrierte Variante bezeichnet wird, betrachtet man die Investitionen umfassender und berücksichtigt auch den potentiell benötigten Netzausbaubedarf. In diesem Fall spielt auch die Räumlichkeit des Ausbaus von Erzeugungs- und Speichertechnologien eine Rolle, die möglichst nah an den Verbraucherinnen und Verbrauchern sein sollen. Beide Szenarien führen allerdings zu einem System, das sich zu 100% auf erneuerbare Energien stützen kann. [3]

Energiewende aus gesellschaftlich-politischer Sicht

Wie bereits erwähnt gibt es gegen den Umstieg auf erneuerbare Energien teils erhebliche Widerstände. Die Klimawandelleugnung, wie sie beispielsweise die AfD betreibt, fördert diese Ablehnung. Zudem kommen Kampagnen mit Falschinformationen oder Halbwahrheiten, die erneuerbare Energien als bedrohlich für Natur oder Mensch darstellen. Gegner einer Energiewende führen die Debatte vorrangig mit Ängsten. Veränderung ist nicht gewollt, da sie Unsicherheit birgt.

Doch auch Befürworter einer Energiewende oder gemäßigte politische Kräfte behindern einen Umschwung auf die Komplettversorgung mit erneuerbaren Energien. Hier mangelt es teilweise an ambitionierten Ausbauplänen und Investitionen. Manchmal stehen auch wirtschaftliche Interessen konventioneller Energieerzeuger im Vordergrund. Das erkennt man beispielsweise an den Hilfszahlungen für die Kohleindustrie, welche Jahrzehnte lang Zeit hatte, ihr Geschäftsmodell umzustellen.

Entscheidend für den Erfolg ist auch eine innereuropäische Zusammenarbeit. Da die Energieerzeugung regional stark schwanken kann, muss die Stromerzeugung aufeinander abgestimmt sein. Hierbei können die Staaten in der EU voneinander profitieren, müssen dann aber bereits vorausschauend ihre Übertragungsnetze ausbauen. [4] Nur so lassen sich zu erwartende Schwankungen sicher und effizient ausgleichen.

Die Forschung zu erneuerbaren Energien und Speichertechnologie

Um die Energiewende kostengünstig und effizient zu halten bedarf es ausgereifter Technologien zur Speicherung und Erzeugung. Diese müssen nicht nur technisch effizient, sondern auch sparsam an Material sein. Der Materialabbau selbst ist beispielsweise bei Elektroautos einer der Hauptemissionsfaktoren. Eine innereuropäische Forschung und Entwicklung ist auch wichtig, um sich nicht abhängig zu machen. [4] Zur Wirtschaftlichkeit der Energiewende kann des DIW gute Auskunft geben.

Weiterhin führt die Bundesregierung derzeit eine Förderinitiative für Energiespeicher mit 200 Millionen Euro durch. „Das Spektrum der Förderinitiative reicht von Batterien in Haushalten über Stromspeicher im Megawatt-Bereich bis zu Vorhaben zur Langzeitspeicherung erneuerbarer Energie, in denen mittels regenerativ erzeugten Stroms die Herstellung von Wasserstoff in Elektrolyseuren erfolgt. Konkrete Schwerpunkte sind unter anderem die Wind-Wasserstoff-Kopplung, Batterien in Verteilnetzen und thermische Speicher.“ [7]

Gleichermaßen spielt natürlich auch eine Weiterentwicklung der Verbrauchstechnologien eine Rolle. Steigert man die Effizienz von Geräten und Industrie, bleibt der Anstieg durch die Elektrifizierung überschaubar.

Fazit

Letztlich ist wohl mehr als klar: eine zeitnahe Energiewende, die sich zu 100% auf erneuerbare Energien stützt, ist technisch möglich und auch wirtschaftlich gut umsetzbar. Widerstände kommen vor allem aus dem politischen Bereich, denn mangelt an konkreten Umsetzungswillen und Investitionen. Teilweise kämpft man aus politischen oder lobbyistischen Gründen sogar aktiv gegen eine Energiewende.

Müsste ich selbst eine Schätzung abgeben, und ihr wisst natürlich, dass ich definitiv kein Fachwissenschaftler zu dem Thema bin, würde ich eine halbwegs realistische Umsetzung auf die Jahre 2035-2040 schätzen. Das Bewusstsein für den Klimawandel wächst und in den anstehenden Wahlen könnten neue Mehrheiten entstehen, die einen entschlosseneren Weg gehen. Doch es bedarf auch europainterner Abstimmung, sodass man zusätzlich von externen Faktoren abhängig ist, wenn man ein sicheres Netz aufbauen will.

Quellenverzeichnis

[1] Energiebedingte Emissionen | Umweltbundesamt

[2] 320 Milliarden Euro bis 2030: Investitionen zur Erreichung der Energie- und Klimaziele können wirtschaftliche Erholung beflügeln | BDEW

[3] DIW Berlin: 100 Prozent erneuerbare Energien für Deutschland : Koordinierte Ausbauplanung notwendig

[4] 13 Thesen: Wie die deutsche Energiewende gelingen kann (fraunhofer.de)

[5] Stromverbrauch | Umweltbundesamt

[6] Providing all global energy with wind, water, and solar power, Part I: Technologies, energy resources, quantities and areas of infrastructure, and materials – ScienceDirect

[7] BMWi – Förderung Energiespeicher

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